Alan Poseners Kolumne: Journalisteneitelkeit, Journalistenehrlichkeit


Der britisch-deutsche Journalist Alan Posener kommentiert wöchentlich das Zeitgeschehen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur für HIRAM7 REVIEW.

Von Alan Posener
Die Welt / Welt am Sonntag / HIRAM7 REVIEW

Zu den weniger erfreulichen Seiten des Journalismus in Deutschland gehört die Praxis, Interviews vom Interviewten autorisieren zu lassen. In der angelsächsischen Welt geht man erheblich lockerer damit um. Man vertraut dem Journalisten, das Gespräch richtig wiederzugeben.

Sicher, für die Autorisierung gibt es einen nachvollziehbaren Grund: anders als im Fernsehen oder im Radio wird das Interview im Print-Medium (und online, wie wir gleich sehen werden) nachträglich bearbeitet: gekürzt, sprachlich geglättet und so weiter. Da kann es vorkommen, dass der oder die Interviewte sich falsch dargestellt findet, indem etwa ein wichtiger Nebensatz weggekürzt wird.

Und: von einem autorisierten Interview kann man sich ja nicht nachträglich distanzieren, wie das zuweilen in den USA oder Großbritannien – mit Hinweis auf die Bearbeitung durch den Journalisten – geschieht. Immer wieder erleben wir jedoch, dass gerade PolitikerInnen (oder ihre Presseleute) bei der Autorisierung das Interview bis zur Unkenntlichkeit verändern. Eindeutige Aussagen werden zurückgenommen, Kontroverses oder Interna gestrichen.

Umso erstaunlicher ist das berüchtigte Sarrazin-Interview mit seiner Diffamierung der dummen Unterschicht und der nutzlosen Zuwanderer. Man muss sich vor Augen halten: das sind nicht „unbedachte“ Äußerungen. Das sind Aussagen, die vom Interviewten (und im Falle Sarrazins auch von seinem Vorgesetzten, dem heutigen Bundesbank- und wohl künftigen EZB-Chef Axel Weber) in Ruhe nach dem Interview gelesen und autorisiert wurden.

Aber das nur nebenbei. Gut: PolikerInnen wollen sich möglichst gut präsentieren; das ist nachvollziehbar. Neulich erlebte ich zum ersten Mal den Fall, dass ein Interview nachträglich geändert wurde, um den Interviewer besser aussehen zu lassen.

Es handelt sich um dieses Interview mit mir in Telepolis.

Man hätte immerhin darauf hinweisen sollen, finde ich, dass das Interview per E-Mail geführt wurde; aber das nur nebenbei.

Ich habe das Interview autorisiert (was tut man nicht alles, um PR für sein Buch zu machen) denke aber doch, dass das ursprüngliche Interview besser war: siehe vor allem Punkt 3:

1) Herr Posener, warum hassen Sie die Kirche?

Was für eine schwachsinnige Frage. Ich hasse die Kirche gar nicht. Ich stehe auf dem guten, alten preußischen Standpunkt, dass jeder nach seiner Façon selig werden soll – der Christ, der Muslim, der Jude, der Atheist. Wer mich in Ruhe lässt, den lasse ich in Ruhe.

2) Sie sind ja bekannt für Ihre Frontalangriffe. In Ihrem neuen Buch „Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“ greifen Sie den Papst an. Ist Papst Benedikt ein Gegner von Demokratie und Aufklärung? Woran machen Sie es fest? Was Frontalangriffe angeht, so sind sie wohl besser als Dolchstöße in den Rücken, meinen Sie nicht auch?

Ich greife den Papst an, weil er die Demokratie und plurale Gesellschaft angreift. Er diffamiert sie als “Diktatur des Relativismus” und fordert nicht nur das Recht, etwa die Homosexualität als “objektive Ordnungsstörung im Aufbau der menschlichen Existenz ” zu verurteilen, sondern eine Art Wächterrat, der die Entscheidungen des demokratischen Staates auf ihre Übereinstimmung mit der Moral überprüfen soll – eine Forderung, bei der er sich mit den Pius-Brüdern und den Teheraner Mullahs einig weiß. Ich greife den Papst an, weil er die Aufklärung angreift. Er sieht den “Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit”, wie es Kant formulierte, als Verfallserscheinung an und fordert die “Reinigung der Vernunft” durch den Glauben – was wiederum bedeutet: ich, Ratzinger, entscheide, was vernünftig ist und was nicht.

Um es klar zu sagen: ich habe nichts dagegen, wenn der Papst sagt: Homosexualität ist eine Sünde. Bitte sehr, das sollen die schwulen Katholiken, von denen es gerade in der Priesterschaft jede Menge gibt, mit ihm und ihrem Gewissen ausmachen. Das liegt auf der gleichen Linie wie das Verbot, Schweinefleisch zu essen bei Juden und Muslimen. So lange sie mir nicht verbieten, Schweinebraten und Schinken zu essen, ist es ihr Problem, wenn sie sich den Genuss entgehen lassen.

Wenn aber gesagt würde, Schweinefleisch zu essen sei eine “objektive Ordnungsstörung”, dann habe ich ein Problem. Ich habe nichts dagegen, wenn der Papst sagt, wir setzen den Glauben über die Vernunft. Bitte sehr, das sollen die mündigen Katholiken mit ihm und ihrem Gewissen ausmachen. Aber wenn er versucht, den Begriff Vernunft selbst so umzudeuten, dass er Glaube bedeutet, dann habe ich ein Problem.

3) Sie werfen Ihm in ihrem Buch vor, dass er von seinem Großonkel geprägt wurde, der antisemitische Hetzschriften verfasst habe. Wer war diese Person, und in wieweit war dieser ein Vorbild für den Theologen Ratzinger?

Sie haben mein Buch offenbar nicht gelesen. Ich werfe ihm mitnichten vor, dass er von seinem Großonkel Georg Ratzinger geprägt wurde. Das ist Unsinn. Ich sage auch nicht, dass der bayerische Nationalist und antisemitische Publizist Georg Ratzinger ein Vorbild für Joseph Ratzinger gewesen sei. Ich lehne die Sippenhaftung ab.

4) Die Aufhebung der Exkommunizierung der Pius-Brüder und des Holocaust-Leugners Williamson wurden in der Öffentlichkeit als eine Panne des Papstes dargestellt, der in diesem Fall einfach schlecht beraten gewesen sei. War das ein Versehen, oder steht dahinter eine bestimmte Haltung?

Der Versuch, die Affäre um Williamson und die Pius-Brüder als Panne abzutun, war ein dummer Schachzug der Benedikt-Verteidiger. Denn wenn der Papst nicht weiß, was er tut, ist er als Papst ungeeignet. Ratzinger weiß aber natürlich sehr genau, was er tut. Er war schon als Chef der Glaubenskongregation mit der Frage der Pius-Brüder befasst und kennt ihre Schriften. Um es deutlich zu sagen: die Pius-Bruderschaft ist keine konservative, sondern eine offen reaktionäre Vereinigung, die den kirchlichen Antijudaismus konserviert, die also mehr oder weniger institutionell antisemitisch ist.

Die Bruderschaft befürwortet eine Abschaffung des weltlichen Staats und ihre Ersetzung durch eine Theokratie ähnlich der im Iran, die Drogen, Prostitution, Pornographie, Blasphemie, Homosexualität und so weiter verbieten und die Todesstrafe wieder einführen würde. Das weiß Benedikt, und trotzdem betreibt er die Annäherung an diese Leute und kommt ihnen weit entgegen, zum Beispiel mit der Aufwertung der lateinischen Liturgie, deren Abschaffung durch das Zweite Vatikanische Konzil vordergründig zur Abspaltung der Pius-Brüder von der Kirche geführt hat. In Wirklichkeit jedoch passte den Pius-Brüdern die ganze Richtung des Konzils nicht. Und sie passt Benedikt auch nicht.

5) Von kirchlicher Seite wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie einen „atheistischen Fundamentalismus“ vertreten würden, und somit jede andere Einstellung als böswillig hinstellen. Manfred Lütz sagt, dass der Papst ein „brillanter Intellektueller“ sei und den Islam herausfordere. Ist das ein persönlicher Kreuzzug von Ihnen gegen die Kirche? Auf was konkret stützen Sie ihre Analysen?

Ich bin zwar getaufter Anglikaner, zugleich aber Atheist, ja. Worin ein “atheistischer Fundamentalismus” bestehen soll, weiß ich nicht. Auf mich jedenfalls trifft diese Bezeichnung nicht zu. Ich stelle doch nicht jede andere Einstellung als böswillig hin, und wer mir das unterstellt, kennt mich nicht. Ich habe bekanntlich ein Buch über die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu, geschrieben, das von allen Katholiken, die ich kenne, mein Freund Manfred Lütz eingeschlossen, gelobt wird – und in dem ich übrigens Joseph Ratzinger zustimmend zitiere. Ich habe nicht den geringsten Grund, einen “Kreuzzug gegen die Katholische Kirche” zu führen, was ohnehin ein Widerspruch in sich wäre, obwohl wir Anglikaner, wie Sie wissen, seit Heinrich VIII. unsere Probleme mit Rom gehabt haben. Hätten Sie jedoch mein Buch gelesen, und nicht nur die Rezensionen, würden Sie wissen, dass ich an keinem Punkt die Kirche als solche angreife. Meine Analyse der Ansichten und Absichten Benedikts stützt sich, das wüssten Sie, wenn Sie das Buch mit seinen 274 Anmerkungen auch nur angeschaut hätten, auf Reden, Schriften und Interviews von Joseph Ratzinger. Also auf öffentlich zugängliches Material.

6) Ist diese Feindschaft gegen die Moderne eine neuere Entwicklung unter Papst Benedikt, oder war diese auch unter Papst Johannes Paul II. Vorhanden?

Johannes Paul II. war – im Gegensatz zu Benedikt XVI. – ein großer Mann. Er gehört, zusammen mit seinem Landsmann Lech Walesa, mit Ronald Reagan, Maggie Thatcher und – vor allem – Michail Gorbatschow, zu den Persönlichkeiten, die das reaktionäre System des Kommunismus zu Fall gebracht haben. Aber für den polnischen Papst war das westliche System nur das kleinere Übel. Von Wojtila sagte man, er wolle zwei Revolutionen rückgängig machen – die russische und die französische. Dabei war er jedoch, vielleicht wegen seiner Erfahrungen mit dem Kommunismus, nicht so radikal wie Ratzinger, den er allerdings gefördert hat. Johannes Paul II. hat Galileo Galilei rehabilitiert und den Darwinismus anerkannt. Benedikt hat den Prozess der Inquisition gegen Galileo verteidigt und propagiert die unwissenschaftliche Lehre des “Intelligent Design” gegen den Darwinismus.

In einer Zeit, die ohnehin von Wissenschaftsskepsis und Halbwissen geprägt ist, bedeutet Benedikts Abkehr von der Vernunft eine Katastrophe.

Die in HIRAM7 REVIEW veröffentlichten Essays und Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der Redaktion wieder.

One Response to Alan Poseners Kolumne: Journalisteneitelkeit, Journalistenehrlichkeit

  1. Peter Sendler says:

    In Zeiten von Wissenschaftsgläubigkeit und Halbwissen nur spasseshalber kurz etwas zum letzten Punkt:
    Erst letzten März fand an an der Pontificia Università Gregoriana mit ausdrücklichem päpstlichen Segen die Konferenz “Biological Evolution: Facts and Theories” statt, bei deren Teilnehmerliste jedem forschenden Evolutionsbiologen das Wasser nur so im Munde zusammenlaufen musste und die weltweit ein erstaunlich positives Presseecho gefunden hat.(Die FAZ bemühte eigens ein kleines Blog.)
    Es gab vor und nach der Konferenz nachdrückliche Proteste von Intelligent-Design-“Biologen”, weil nicht einer von Ihnen auch nur eingeladen worden war, mitzudiskutieren.Weder die katholische Kirche noch der Papst als Einzelperson haben je die in den Staaten populäre Intelligent-Design-Theorie vertreten, nicht zuletzt weil diese Theorie eines “Lückenbüsser-Gottes” schon von Grund auf nicht mit katholischem Theologieverständnis vereinbar ist, sondern einem typisch neuzeitlichem amerikanischen Sola-Fide-Protestantismus entsprungen ist: Sie ist schlicht und einfach nicht vernünftig.
    Und bitte kommen Sie jetzt nicht mit Schönborn und der New York Times. Weder ist der glücklose Kardinal noch der Papst ausgebildeter Biologe, noch gibt es heutzutage im Vatikan sichtbare Grenzen der Narrenfreiheit für Laien und Päpste, was das Führen oder Billigen von einzelnen Interviews angeht. Wenn sich aber Wissenschaftsdisziplin Evolutionsbiologie und Weltanschauung Neodarwinismus unbedingt vermischen sollen, erhebt die Kirche selbstredend friedlich Einspruch. Darum ging und geht es dem Herrn aus Wien.

    Hätte man Zeit und Muße, Herr Posener, käme man hier mit dem Zerrupfen Ihrer Strohmänner fast gar nicht nach. Ein Jammer.

    http://www.evolution-rome2009.net/index.php?lang=en

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