Schulle im Gewöhnlichen Sozialismus – Ein Episodenroman zur deutschen Zeitgeschichte


p-schulle
Von Dr. Christof Tannert

Erschienen im Forum-Verlag Leipzig, Februar 2009

Exposé

Prototypische Charaktere der DDR werden in teils fiktiven, teils erlebten Biografien geschildert. Die Personen werden miteinander sowie mit einigen exemplarischen Westdeutschen konfrontiert. Als dramaturgische Kulisse dienen Szenario und Umfeld einer psychosomatischen Gruppentherapie. Es entstehen Einblicke in den „gewöhnlichen Verbalsozialismus“: Formungen und Verformungen von Menschen durch Alltag, Kleinbürgerei, Erziehungsdiktatur und staatliche Vormundschaft. Ein langsames Romanmittelteil vermittelt zwischen Generationen und Ideologien und zwischen den beiden (relativ schnellen) Eckteilen.

Der Roman hat autobiografische Bezüge. Er wurde vor allem gegen das Vergessen und gegen das immer mehr forcierte Verdrängen geschrieben.

Prolog

nach einem Suizidversuch.

Teil I  Karrieren

Kapitel 1: Der Dissident

Stephan Schulz, genannt Schulle: Physiker, DDR-Dissident, Stasi-Knast, danach von der Stasi andauernd überwacht, aber aus sozialistischer Überzeugung dennoch im Osten geblieben. Weil er de facto mit Berufsverbot belegt ist, arbeitet er seit Anfang der 80er Jahre als Hausmeister, und dann weiter nach 89, weil ihm das eine stressfreie, komfortable Nische zu sein scheint. Er ist aber nun wirtschaftlich von Entlassung und seelisch durch den Verlust von Hoffnung bedroht.

Kapitel 2: Die Anwältin

Cornelia, genannt Rote Conny: Tochter eines südwestdeutschen Schnapsfabrikanten, aktive 68erin aus der Frankfurter Sponti-Szene, Rechtsanwältin in Berlin-W, mit Schulle lange Zeit befreundet, auch sexuell liiert. Nach 89 politisch heimat- und bindungslos, Identitätskrise.

Kapitel 3: Der  Offizier

Jürgen-Dieter Henne, genannt Hühnchen, manchmal auch Hühnchen-Jüdie: Ex-Offizier der NVA („Nationale Volksarmee“ der DDR) und dort eine Art Liegenschaftsbeauftragter. Stasi-Zuträger aus Opportunismus, nach `89 mit Immobiliengeschäften in Sachsen betrauter Makler bei einer großen Firma. Später selbständig in der Branche und damit überfordert. National.

Kapitel 4: Die Pionierleiterin

Christa Krauss: ehemalige Pionierleiterin und Aushilfs-Lehrerin für Erdkunde. Ideologisch vormals übereifrig, eher zufällig von der Stasi nicht als Informelle Mitarbeiterin (IM) rekrutiert. Nach `89 virtuos gewendet („was diese Bonzen mit uns gemacht haben, wenn man das damals gewusst hätte, da  hätte man viel früher aufbegehrt“) und vom Nachfolgestaat als Lehrerin für Politische Weltkunde verbeamtet und damit überfordert. Politischer Rechtsdrall.

Kapitel 5: Der Politiker

Johannes Becker: Feingeist und Nischenmensch in der DDR, hoch gestellter Politiker nach dem 89er Umsturz. Konnte in der DDR keinen wirklichen Grund zum wirklichen Handeln erkennen.  Hat aber seinerzeit Schulle beim Stasi-Verhör aus Ängstlichkeit und aus Abneigung gegen dessen „Aktionismus“ belastet und will nun von ihm Absolution.

Kapitel 6: Die Müllwerkerin, der Müllwerker

Ilona Lehmann: der DDR-Prototyp schlechthin, d.h. um politische Unauffälligkeit bemüht, leise, akkurat, fleißig. Gastwirtstochter, Buchhändlerin. Nach dem 89er Umsturz Weiterbildung zur Betriebswirtin und nun städtische Angestellte im Personalbüro der Müllabfuhr. Muss sich dort vor allem mit Personalabbau befassen, was sie deprimiert.

„Blacky“, ehemaliger Chemielaborant, Müllfahrer, arbeitslos. Eigentlich „unpolitisch“, aber erpresst worden, für die Stasi zu spitzeln („IM“). Hat das nicht wirklich getan, wird dafür aber nun trotzdem und dauerhaft mit sozialer Deklassierung bestraft. Alkoholprobleme. In der Klinik beginnende Freundschaft mit Schulle, Ilona, Conny.

Teil II Ältere Damen in deutschen Gesprächen
Kapitel 7: Hilde und Herta

Zwei gebildete und wohlständige Damen gleichen Alters, die eine aus Ost-, die andere aus West-Deutschland, alleinstehend, unternehmungslustig, kulturvoll, streitbar.

Kapitel 8: Eisenbahngespräche

Mitte ihrer 70 lernen die beiden sich im Eisenbahnabteil auf der Fahrt von Warschau nach Berlin kennen. Sie stammen aus dem Memelgebiet, waren dort zur Besichtigung und sind sich in vielem gleich: Germanistinnen, wieder solo, ironisch. Besuch in Königsberg/ Kaliningrad, der Landschaft ihrer Kindheit und Jugend und Immanuel Kants und Hannah Ahrendts, Besuch in Warschau und dort auch am ehemaligen jüdischen Ghetto.

Spannungen (geringe) beim Kennenlernen àEisenbahngespräche über dt. Geschichte, Kant, Ethik, Totalitarismus, Alter, Zukunft, dt. Einheit

Kapitel 9: Schlössergespräche

Fortsetzung von Kapitel 7 und 8 und Verknüpfung zu Teil I und Teil III: Die Beiden gehen auf eine gemeinsame Schlösserfahrt durch Brandenburg, kommen dabei u.a. in die Psychosomatische Reha-Klinik und werden dort in einen akuten O-W-Streit einbezogen. Ausklang: Sie wollen ein brandenburgisches  „Herrenhaus“ kaufen und eine (Senioren)Kommunität begründen.

Teil III Reha-Klinik
Kapitel 10: Konzeptionen

Ein Arzt entwirft eine psychotherapeutische Gruppenkonzeption, kalkuliert mögliche Ost-West-Auseinandersetzungen ein und versucht auszutarieren, z.B. mit einer Oberstudienrätin aus Hessen (Frau Dyba).

Kapitel 11: Konstellationen

Begegnung der Hauptpersonen aus Teil I und Kapitel 10, manche kennen sich überraschenderweise von früher.

Kapitel 12: Konfrontationen

von Lebensgeschichten und gegenwärtigen „Befindlichkeiten“ im Therapiegespräch und an dessen Rand, oszillierend zwischen Opportunismus, Dissidenz, DDR-Erinnerungen, Nischen- und Beamtendasein.

Kapitel 13: Eskalationen

dramatische Fortsetzung von Kapitel 12 mit verbalen und körperlichen Schlagabtauschen

Kapitel 14: Grübeleien

einzeln und in Gruppe

Kapitel 15: Vorletzter Versuch

In dem Schloss, in dem die Reha-Klinik untergebracht ist, treffen die beiden alten Damen, der Politiker und die Therapiegruppe aufeinander à Konflikte und Diskurse.

Epilog

die Protagonisten gehen ihren Charakteren entsprechende mehr oder minder zeitgemäße Wege, Schulle ist definitiv gescheitert und hat sich bei Florenz das Leben genommen. Er hinterlässt ein Gedicht mit rätselhaftem Schluss.

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